Mahnwachen gegen Querdenker-“Spaziergänge”

Immer wieder montags, zusätzlich auch mal mittwochs oder samstags: Seit einigen Wochen finden auch bei uns im Kreis Pinneberg sogenannte „Spaziergänge“ statt. Menschen versammeln sich in Gruppen von 150 und mehr Personen, um ihre Kritik an den Maßnahmen zur Pandemie-Eindämmung zu demonstrieren. Ohne Anmeldung, ohne Abstände, ohne Masken. Dafür aber gern auch mal mit lauter Musik, Trillerpfeifen oder Megafon-Einsatz.

Mit dabei: Geimpfte, die sich gegen eine vermeintliche Diskriminierung der im Alltag eingeschränkten Ungeimpften stellen, Imfpkritiker:innen und Imfpgegner:innen, Besorgte, Ängstliche, Wütende – aber eben auch Menschen, die die Gefahr des Virus relativieren oder leugnen. Mitunter laufen bei diesen Versammlungen auch Personen mit, die Gewalt als legitimes Mittel sehen, um die Politik, die sie ablehnen, zu ändern. Und Personen, die eindeutig dem rechtsextremen Milieu zugeordnet werden können, aber wohlweislich auf schnell erkennbare Symbole und Insignien verzichten.

„Angekündigt und gesammelt werden die Termine für diese Demonstrationen über den Messengerdienst Telegram. Auf diesen Kanälen teilt eine kleine Gruppe von Admins gebetsmühlenartig Inhalte, die Wissenschaftler:innen, Politiker:innen, die Bundes- und Landesregierungen und unseren freiheitlich demokratischen Rechtsstaat diskreditieren und schwächen wollen“, sagt Katrin Stange, Vorsitzende des Uetersener Ortsverbandes von Bündnis 90/Die Grünen, die gemeinsam mit anderen Politiker:innen und Nicht-Politker:innen die parteiübergreifende zivilgesellschaftliche Initiative Solidarischer Kreis Pinneberg gegründet hat. Das Ziel: Dem Querdenker-, und Verschwörungswahn vehement widersprechen! Denn in den geteilten Statements, Videoclips und Screenshots werden auch rassistische, antisemitische und generell menschenverachtende Ressentiments bedient. Genauso wie die Sehnsucht nach Verschwörungserzählungen, die für alles sinnstiftende Erklärungen zu haben meinen.

„All das bleibt von den anderen Gruppenmitgliedern erschreckend häufig unwidersprochen“, ergänzt Sven Herrmann, Grüner Fraktionsvorsitzender im Elmshorner Stadtrat. „Im Gegenteil: Die Statements und Videoclips einschlägig bekannter Querdenker:innen und Rechtsextremer werden akzeptiert und sogar beklatscht. So wird die Stimmung auf dem Siedepunkt zu halten versucht.“ „Statt aber genau hinzusehen, wer da in den Telegram-Gruppen Statements eines Ken Jepsen, Bodo Schiffmann, Attila Hildmann oder dem rechtsextremen Propaganda-Blatt Compact postet und wer alles bei den „Spaziergängen“ mitläuft, wird die Erzählung einfach umgedreht“, weiß auch Andrea Dreffein-Hahn, Mitinitiatorin der Initiative und Mitglied des Grünen Kreisvorstandes. „Dann wird daraus die Generalkeule: ‚Die behaupten, wir sind alle Nazis!‘“ Dabei ist es genau das gerade nicht, was die Initiative den Spaziergänger:innen vorwirft. Tatsache ist jedoch, dass Rechtsextreme offenkundig die aktuelle Unzufriedenheit und Verunsicherung für ihre Zwecke instrumentalisieren.

Und wer sind ‚die‘? All diejenigen, die sich den Spaziergänger:innen seit Wochen zwar nicht direkt konfrontativ in den Weg, aber doch in deren Nähe stellen. Wie die mittlerweile mehr als 50 Aktiven, die sich kurz vor Weihnachten in der Initiative Solidarischer Kreis Pinneberg organisiert haben und zu Mahnwachen aufrufen – angemeldeten Mahnwachen. Mit Masken, Tüchern, die als Abstandshalt dienen, und Kerzen, die für die im Kreis Pinneberg bereits im Zusammenhang mit Covid-19 verstorbenen Menschen brennen. Jeden Montag ab 18 Uhr. Für Impfen, Masken, Abstand und Solidarität. „Anfänglich waren wir nur eine kleine Gruppe in Pinneberg. Im Laufe der Zeit sind immer mehr Leute dazugekommen. Inzwischen gibt es jeden Montag Mahnwachen in Pinneberg, Elmshorn, Uetersen und Barmstedt gegen die Querdenker-Proteste“, erzählt Andrea Dreffein-Hahn.

Die Initiative ist sich einig: Diese Pandemie muss endlich ein Ende haben, damit nicht noch mehr Menschen ihr Leben verlieren oder unter den Folgen einer Corona-Erkrankung leiden. Sven Herrmann: „Das schaffen wir nur, wenn wir zusammenhalten und Solidarität zeigen – nicht aber, wenn ein Teil der Bevölkerung die Impfung aus egoistischen Beweggründen, aus Angst vor Nebenwirkungen oder aus einer Generalkritik an ‚der Politik’ ablehnt und diese Befindlichkeiten über das gesamtgesellschaftliche Ziel stellt, die Pandemie in den Griff zu bekommen.“

Zusammen mit anderen überzeugten Demokrat:innen hat die Initiative die Kreis Pinneberger Erklärung an uns alle! verfasst, eine Petition, die zur effektiven Eindämmung der Pandemie durch Impfung, Maske und Abstand aufruft. Online haben bereits fast 1.000 Personen unterzeichnet (Stand: Mitte Februar 2022).

„Wegen ihres Engagements sind Teilnehmer:innen der Mahnwachen bereits selbst in den Fokus der Querdenker-Kanäle geraten. So werden sie z. B. gefilmt und die Clips dann ebenfalls bei Telegram unter Titeln wie ‚Die Systemtrolle‘ geteilt“, erzählt Katrin Stange. Auch ein Foto von ihr wurde dort schon mit dem Hinweis geteilt, sie sei wohl die Verfasserin der Petition. „Das bereitet schon Unbehagen, ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir weiterhin Haltung zeigen“, so Stange. Aber es gibt auch Entwicklungen, die Hoffnung machen: Etwa, dass es immer wieder zu Gesprächen mit einzelnen Teilnehmer:innen der sogenannten „Spaziergänge“ kommt. Diese laufen zwar stets kontrovers, dabei wird aber auch klar: Die Gruppen der Spazierenden sind genauso wenig homogen wie die der Mahnwachen. Selbst Gemeinsamkeiten finden sich immer wieder. Und ein gemeinsames Ziel: Möglichst bald unser Leben zurückzubekommen, das wir vor Ausbruch der Pandemie hatten!

Neuste Artikel

Krankenhaus Quelle:pixabay

Presseartikel zur Krankenhausentscheidung

Unsere Liste – hier tippen!

Ähnliche Artikel